FRESH-UP IM MUSEUM - Der Jugendstilizer

Frischer Schwung auf ganzer Linie: Wer im Museum Wiesbaden die Spuren des Jugendstils entdecken will, der kann im neu gestalteten Aktionsraum „EXPERIMENT ORNAMENT“ mit einer besonderen Experience starten. Dieser Raum ist zusammen mit Studierenden der Hochschule RheinMain (HSRM) und der Designagentur 99° aus Wiesbaden entwickelt worden.

Bilder einer Ausstellung mit 99°:

Das Leitthema, das umgesetzt werden sollte, war der kunstgeschichtliche bzw. künstlerische Weg „Von der Natur zum Ornament“ als Eintrittsebene in die Welt des Jugendstils. Zusammen mit der HSRM hat 99° hier einen ebenso spannenden wie didaktisch anspruchsvollen Zugang entwickelt. Die verschiedenen Wände des Raumes werden in vielfältiger Weise genutzt: Zu finden sind hier z. B. Erklär-Grafiken, Beispiele zu Stil-Merkmalen, aber auch Installationen, die zu Interaktionen einladen.

Jugendstil trifft auf Hightech –

Wie interaktive Kunst das Museumserlebnis im 21. Jahrhundert revolutioniert

Kunst muss nicht immer statisch und passiv sein. Das haben sich das Museum Wiesbaden, die Hochschule RheinMain und 99° gedacht und den Jugendstil mit moderner Technologie kombiniert. Im Eingangsportal der Ausstellung erwartet die Besucherinnen und Besucher der sogenannte „Jugendstilizer“: Eine interaktive Installation, die Kunst zum Erleben und Mitmachen einlädt. Dabei verschmelzen originalgetreue, goldene Rahmen mit Hightech-Touchscreens zu einem einzigartigen Erlebnis.

Als Besucherin oder Besucher kann man selbst zum Künstler werden und mit dem Finger als Pinsel auf dem Touchscreen eigene Kunstwerke kreieren. Dabei sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt – man kann auf vorgefertigte Formen und Figuren zurückgreifen oder aber eigene Ideen umsetzen. Eine spielerisch-kreative Erfahrung, die das Museumserlebnis revolutioniert.

Und das Beste: Die eigenen Kunstwerke können für einen kleinen Unkostenbeitrag von 50 Eurocent per Farblaser ausgedruckt werden. Wer möchte, kann sie auch per Beamer in den Aktionsraum projizieren lassen oder via Social Media teilen.


Didaktische Wände – lehrreicher Innenausbau

  • Von der Natur zum Ornament:
    Basierend auf Ernst Haeckels Kunstformen der Natur kann man durch Objektkästen seinen eigenen Kunstzugang weiterentwickeln. Das beginnt mit einer großen Drehscheibe, in die Lupen eingelassen sind – Schaukästen, die Neugier und Interesse wecken. Gleiches gilt für das 1 Meter große Mikroskop als Exponat, mit dem sich Kieselalgen beobachten lassen. Didaktischer Ansatz dieser Objektgestaltung ist hier immer, dass Museumsgäste nicht nur in die Welt der Mikroorganismen eintauchen, sondern auch die Strukturen von Symmetrien oder Spiegelachsen entdecken, die sich dann später als künstlerisch Gestaltungselemente wiederfinden.
  • Als Raumgestaltung der etwas anderen Art erweist sich dann auch ein besonderes Highlight:
    Man kann mittels QR-Code eine gigantische Kieselalge per Augmented Reality in den Raum projizieren. Die Abbildung dieser virtuellen Kieselalge kann umrundet werden, lässt sich durch das Smartphone aber auch betreten und von innen betrachten.
  • Ausstellungsdesign, das Verbindungen schafft:
    Neben der Drehscheibe findet man große Zeichnungen des Zoologen Ernst Haeckel (Kieselalge und Blumenstrauß) und kann ein Gefühl dafür entwickeln, wie Haeckel seine Naturbeobachtungen künstlerisch abstrahiert. Im nächsten Abschnitt gibt es konkrete Anleitungen, wie Erscheinungen in der Natur in Ornamente überführt werden können: durch Entdecken von Bewegungslinien, Symmetrieachsen und das Vereinfachen/Reduzieren von Formen. Die Wand schließt ab mit Jugendstilkacheln, auf denen dieser Prozess gut zu sehen ist.
  • Museale Innenarchitektur und Raumgestaltung mit Wänden und Vitrinen
    Die thematische Wand „Linie ist eine Kraft“ visualisiert die sehr starke Bedeutung von Linie und Kontur im Jugendstil. Es beginnt mit dem ornamentbetonten „Peitschenhieb“ des Schweizers Hermann Obrist, zeigt aber auch die grafischen Einflüsse des japanischen Holzschnittes auf den Jugendstil.
  • Raumgestaltung mit Tiefenwirkung
    Als sichtbar transparenten Kontrapunkt zur grafischen Wand gegenüber findet man Vitrinen und in diesen zahlreiche ausgestellte Exponate mit organischer oder floraler Formgebung, etwa Vasen, Geschirr, Lampen, Bestecke, Gläser oder Krüge (Olaf Leu). Die Vitrinen selbst dagegen zeigen sich kantig und beinahe kubistisch. Schon dieser Gestaltungskontrast erzeugt Spannung, die allerdings noch verstärkt wird durch bewegte Drehteller oder indirekt hinterleuchtete Exponate.
  • Ausstellungsdesign epochal
    Zeitbezüge über verschiedene Epochen stellt die Wand „Von Mucha zu Manga“ her: Die Geschichte beginnt mit Beispielen klassischer Jugendstilwerke wie denen von Alfons Mucha, geht weiter über die Psychedelic Art der 1960er mit Plattencovern und Poster wie denen von Pink Floyd und reicht bis zu der aktuellen KI-generierten Kunst wie die von Midjourney oder Stable Diffusion Online. Als retrospektive Reminiszenz findet sich an dieser Wand auch ein Motiv der Trickfilmserie „Mia and Me – Abenteuer in Centopia“, die in der Gestaltung von Figuren und Kleidung wiederum die Einflüsse von Mucha zeigt.


Museal goes digital: Herausforderung Technik in der Ausstellungsgestaltung

Zur Umsetzung dieses Ausstellungskonzepts setzte 99° ein ganzes Orchester von Rechnern ein, für die eine entsprechende Synchronisation unabdingbar war: Angefangen bei der Portierung der Malornamente  auf die beiden Terminals und den Beamer, über die Anbindung des Museumsshops als Print- und Ausgabestation für gewünschte Ausdrucke, die Anonymisierung des Drucks per numerischer oder individueller Bildtiteleingabe, bis zu effektiven Maßnahmen gegen Missbrauch wie anstößige Zeichnungen, Titel oder Verfassereinträgen.  Zu guter Letzt mussten Möglichkeiten implementiert werden, um die Werke bei Bedarf löschen zu können und den Datenschutz sicherzustellen. Gerade auf letzten wurde besonderes Augenmerk gerichtet, da der Login in soziale Medien immer ein hohes Sicherheitsrisiko darstellt. Nach einiger Vorarbeit vonseiten 99° wurde eine smarte Lösung über QR-Codes gefunden: Jeder kreative mitwirkende Museumsgast kann teilen, ohne dabei persönliche Daten im Museum zu hinterlassen, indem er mit eigenem Endgerät scannt.

Weitere Projekt-Herausforderungen:

  • Knappes Budget
  • Viele Gewerke/Dienstleister
  • Kurze Deadline
  • Technische Herausforderung im Museum (Netzwerk)
  • Haustechnik (System muss von alleine starten und einsatzbereit sein)
  • Datenschutz (anonymes aber detailliertes Tracking)

Von der Idee zur Ausstellungsgestaltung: Der Job von 99°

  • Ausarbeitung des Screendesign in Anlehnung an die Entwürfe der Studierenden
  • Optimierung des UIs
  • Programmierung der client- und serverseitigen App
  • Entwicklung einer Admin-Oberfläche für das Museumspersonal
  • Entwicklung der Beamer-App zur Animation und Projektion der Ornamente/Werke/Arbeiten in Echtzeit
  • Technische Beratung und Evaluation
  • Installation und Konfiguration aller Terminals
  • Recherche der Themen
  • Konzeption und Gestaltung aller Wände
  • Konzeption von Drehscheibe und Vitrinen-Segment
  • 3D-Visualisierung zur Planung der Ausstellung
  • Innenarchitektur und Raumgestaltung
  • Objektgestaltung
  • Koordination mit Akteuren, Dienstleistern und dem Museumsteam
  • Zeit- und Budgetplanung
  • Qualitätskontrolle und -sicherung während des Aufbaus


Junge Studierende als Akteure

Das kreativ-aktive Team der Kommunikationsdesignerinnen aus der Hochschule, das den Pitch zu „EXPERIMENT ORNAMENT“ für sich gewinnen konnte, sind die drei Studentinnen Julia Muthler, Alisa Sawchuk und Leah Stephan. In einem Interview mit dem Museum Wiesbaden erklärten sie, dass „vielseitige Kurse im Grundstudium […] uns umfangreiche Fähigkeiten vermittelt [haben], die wir im Hauptstudium vertiefen und in interdisziplinären Projekten anwenden“. Hier verwiesen sie unter anderem auf die Ursprungsidee, die in einem ihrer „Semesterprojekte im Kurs Interactive Design unter der Leitung von Jörg Waldschütz“ entstanden ist, aber auch auf darauf, dass sie viel „in den Kursen im Bereich User Experience/User Interface Design von David Bascom […] über die Gestaltung von Anwendungen und Screendesign gelernt“ haben.

Die drei Studentinnen
Julia Muthler,
Alisa Sawchuk und
Leah Stephan

Der Jugendstilizer

Mittendrin im „EXPERIMENT ORNAMENT: Der Jugendstilizer für digitale Ornamentgestaltung, der laut port01.com als „digitales Vermittlungstool“ dient und es „Nutzer:innen ermöglicht, eigene Ornamente zu kreieren und mit der Welt zu teilen.“ Ein spannendes Tool, denn alle interessierten Museumsgäste können so interaktiv in die Strukturen des Jugendstils eintauchen, malen und das eigene Werk sogar gegen eine geringe Gebühr ausdrucken lassen. Ein besonderes Statement von Museumsdirektor Dr. Andreas Henning zitiert port01.com auch, denn es belegt die Qualität dieser explorativen Herangehensweise: „Die Studierenden der Hochschule RheinMain haben uns mit ihrem so brillanten wie professionellen Konzept des ‚Jugendstilizers‘ sofort überzeugt, […] denn der innovative Ansatz lädt dazu ein, sich mit einem Kernaspekt des Jugendstils zu beschäftigen. Wir sind überzeugt, dass der Aktionsraum ‚Experiment Ornament‘ unsere Museumsgäste dazu inspiriert, sich auf Entdeckungstouren durch unsere herausragende Jugendstil-Sammlung zu begeben.“


Hochschule, Museum und Teamplay

„Die Belebung der Dauerausstellung im Museum Wiesbaden“ war das Thema des Seminars von Professor Jörg Waldschütz, wie die Hochschule RheinMain die Semesteraufgabe beschreibt. Der Jugendstilizer als „digitale Anwendung Jugendstilizer bündelt wesentliche Aspekte der Jugendstil-Kunstströmung und überführt sie interaktiv in das 21. Jahrhundert“.

Selbstverständlich erfahren Museumsgäste aber sehr viel mehr über die Epoche und ihre vielfältigen Stilmittel, denn der Aktionsraum EXPERIMENT ORNAMENT präsentiert auch „Linienführung, Typographie, Licht und Transparenz, Formensprache naturhistorischer Entdeckungen, zeitgenössische Adaptionen und Weiterentwicklungen der Kunst um die Jahrhundertwende.“

Dass das Tool und der Aktionsraum als Attraktion entstehen konnten, ist dem Teamplay und Engagement vieler Mitwirkender zu verdanken: Federführend wirkten der Förderverein Freunde des Museums Wiesbaden e. V., das  Museum Wiesbaden,  die R + V Versicherung, das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst sowie Professor Olaf Leu, die das Projekt von Anfang an unterstützten.

Begeisterte Presse

Ein ganz neuer Einstieg, um nicht nur die Schätze der einzigartigen Sammlung F. W. Neess zu kennenzulernen, sondern das Thema dank der Idee der drei Studierenden auch selbst zu erleben. Oder, wie es der Wiesbadener Kurier zusammenfasst und den Kustos des Museums zitiert: „Das Trio hat einfach an alles gedacht, um die Jugendstil-Ornamentik in die Welt zu tragen. „Wir sind beflügelt von diesem Ergebnis“, sagt Peter Forster. Und das wird sicher den Besuchern der „Kurzen Nacht“ an diesem Samstag auch so gehen.“

Wir von 99° freuen uns ebenfalls – denn so sieht für uns eine wirklich gelungene kulturelle Kooperation aus.